NEWS

Wie feiert man eigentlich richtig?

Von Abrissparty und schleichendem Schmerz. Am 10. April feierte das NEST die Tanzlabor-Premiere von Le Grand Finale. Choreographin Katharina Augendopler im Interview über die Tanzperformance.

Euer Stück Le Grand Finale befasst sich mit Abschieden – den kleinen und großen, den lauten und leisen. Wie lässt sich eine choreographische Annäherung an ein so facettenreiches Thema vorstellen?

Katharina Augendopler: Wir haben das Thema des Abschieds und des Finales mit einem Community-Ensemble, bestehend aus 24 jungen Tänzer*innen, aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Für uns war es essenziell, Abschied nicht nur als traurigen, sentimentalen Moment zu begreifen, sondern auch die positiven Aspekte zu betrachten – das Potenzial, das sich eröffnet, wenn etwas hinter einem bleibt. In der Stückentwicklung haben wir uns unter anderem folgende Fragen gestellt: Was bedeutet ein Finale für dich? Welche Phasen führen zu einem großen Abschied, und was folgt danach? Wie geht man mit dem Prozess um? 

Und bedeutet es nicht auch, loszulassen, wenn sich etwa eine Freundschaft verändert? Abschied und Finale sind oft kein kurzer, klarer Schmerz, sondern ein schleichender Prozess, der sich über längere Zeiträume erstrecken kann. Diese individuellen Erfahrungen flossen in Improvisationen ein, aus denen sich später konkrete Szenen formten. Ein besonders wichtiger Aspekt war die Frage: Wie tanzt man gemeinsam? Wie kann sich eine Beziehung langsam verändern und auseinanderdriften? Ein weiteres zentrales Bild in Le Grand Finale lautet: „Mehr ist mehr“. In diesem Abschnitt wird einfach gefeiert – das Leben, das „Wir“.

Das Stück enthält verschiedene musikalische Elemente. Welche Klänge erwartet das Publikum?

Katharina Augendopler: Das Publikum wird ein Trio aus dem Bühnenorchester erleben – Vibraphon, Cello und Bratsche – ergänzt durch den DJ Oliver Cortez, der mit Live-Electronics arbeitet. Die Musik umfasst eine breite Palette: Zarte, fast fragile Klänge zu Beginn, bei denen das Cello und das Vibraphon mit Bogen gespielt werden. Wenn die Bratsche dazukommt, wird es minimalistisch und intensiv. Der DJ trägt mit atmosphärischen Klangflächen bei, aber auch mit kräftigen Beats. Es gibt sogar eine „Abrissmusik“, eine Club-Nummer, die das große Finale markiert.

Was war zuerst da? Die Bewegung oder die Musik?

Katharina Augendopler: In diesem Fall war die Musik der Ausgangspunkt. Zu Beginn haben wir uns intensiv mit der musikalischen und inhaltlichen Struktur der Pathétique – Tschaikowskis 6. Symphonie beschäftigt. Meine Co-Choreographin Romy Kolb und ich sind beide musikaffine Menschen, die oft von der Musik aus denken. Auch wenn das nicht immer meine Herangehensweise ist, haben wir in diesem Fall bewusst mit der Stimmung der Musik gearbeitet, um in die Probe und die Tanzimprovisationen einzutauchen. Irgendwann wurde die Musikwahl sogar eine dramaturgische Entscheidung: Wann brauchen wir eher Fläche, wann viel Rhythmus? Wann verbindet Musik etwas, und wann soll sie bestimmte Bewegungen oder Aussagen besonders unterstützen? Die Struktur von Tschaikowskis Pathétique hat uns in der Gesamtdramaturgie inspiriert – auch in Bezug darauf, wie man ein „großes Werk“ abschließt. Wir haben uns da einiges abgeschaut, ohne zu viel vorwegzunehmen.

Du leitest bereits seit mehr als drei Jahren partizipative Stückentwicklungsprojekte für die Wiener Staatsoper. Euer Zugang ist oft, mit ein, zwei neugierigen Fragen oder der Inspiration einer Choreographie des Staatsballetts in den Probenraum zu gehen. Wie lässt sich eine solche Stückentwicklungsphase in zwei Sätzen beschreiben?

Katharina Augendopler: Jeder Stückentwicklungsprozess ist einzigartig. Es gibt grundlegende Phasen, die bei jedem Projekt anders ausfallen, da jede*r Teilnehmer*in unterschiedliche künstlerische Backgrounds, Ideen und Kreativität mit- und einbringt. Die erste Phase ist das Kennenlernen, die zweite das Ideensammeln – hier wird viel improvisiert und ausprobiert, um erste Bewegungsmaterialien zu entwickeln, die noch lose sind. In der nächsten Phase wird gesichtet, was schon da ist, und wir filtern heraus, was noch fehlt. Wo kann man noch tiefer gehen? In welche Richtung kann sich die Dramaturgie entwickeln? 

Auch das entwickelt sich bis zum Schluss weiter. Selbst wenn ein Gerüst steht, gibt es immer wieder Momente der Veränderung und Ergänzung. In den Endproben kommen schließlich alle Elemente zusammen: Musik, Licht, Bühne – die gesamte Zusammenarbeit mit der Technik und den Kostümen. Dann folgt die Generalprobe, und schließlich die Aufführung.

Und welche Phase magst du am liebsten?

Katharina Augendopler: Als Theatermensch liebe ich vor allem die letzte Woche, auch wenn sie extrem anstrengend ist und man wenig schläft, oft denkt: „Oh scheiße, das muss noch alles gemacht werden!“ Aber gerade diese Momente finde ich besonders spannend. Alles, was man zuvor erarbeitet hat – sowohl im sozialen Kontext als auch in der künstlerischen Arbeit – bekommt eine zusätzliche Dichte. Es kommt alles zusammen, das Ensemble und das ganze Team wachsen noch enger zusammen. Ein schöner Moment ist zum Beispiel, wenn man sich in der Garderobe noch gemeinsam das Puder aufträgt, sicherstellt, dass die Outfits perfekt sitzen, und sich zusammen aufwärmt.

 

In jedem Projekt lernt man etwas Neues über sich, die Welt oder das Ensemble – oder auch über die Institution. Welche besondere Erfahrung nimmst du aus dem bisherigen Prozess von Le Grand Finale für dich mit?

Katharina Augendopler: Es gibt so viele neue Erfahrungen! Besonders spannend fand ich in diesem Jahr, dass meine Co-Choreographin Romy Kolb und ich aus unterschiedlichen tänzerischen Backgrounds kommen. Romy bringt viel Expertise aus dem urbanen Tanz mit – Voguing, Waacking und House –, während ich eher aus dem zeitgenössischen Tanz und etwas vom Ballett komme. Es ist unglaublich spannend zu sehen, wie daraus neue Bewegungssprachen entstehen und wie wir uns gegenseitig inspirieren. Eine weitere besondere Erfahrung ist, dass wir dieses Jahr erstmals in der Neuen Spielstätte, dem NEST, spielen. Das eröffnet uns technisch nochmal ganz neue Möglichkeiten.

Kannst du vielleicht schon ein, zwei Dinge in Bezug auf die Inszenierung und die Bühne verraten? Das NEST ist ja ein Theaterhaus mit viel Drum und Dran. Auf welche Möglichkeiten hast du dich besonders gefreut?

Katharina Augendopler: Der Schnürboden! Eindeutig. Den wollten wir unbedingt nutzen. Es wird also etwas von oben kommen, was der Inszenierung noch eine weitere Ebene verleiht. Das ist natürlich eine großartige Möglichkeit, mit der Architektur des Raums zu spielen.

Le Grand Finale thematisiert auch das Feiern von Abschieden. Wie feiert man eigentlich den sozialen Aspekt des Projektes? Wird nach der Premiere von Le Grand Finale auch gefeiert? Habt ihr und das Ensemble schon Pläne?

Katharina Augendopler: Natürlich! Nach der Premiere stoßen wir mit Pizza, Limo und Sekt an – für das Ensemble und das gesamte Team. Aber es gibt auch noch etwas ganz Besonderes: Nach der Dernière am Freitag findet im NEST Tanzkaraoke statt. Da können wir alle noch gemeinsam tanzen und das Projekt mit dem Publikum, unseren Freund*innen und Bekannten sowie der Öffentlichkeit ausklingen lassen. Der wahre Abschluss wird dann der gemeinsame Vorstellungsbesuch von Martin Schläpfer’s Pathétique sein – dem Werk, das uns zu unserem eigenen Stück inspiriert hat. Darauf freue ich mich schon besonders!