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Magie & Reales
Ballettdirektor und Chefchoreograph Martin Schläpfer widmet sich mit einer Uraufführung dem wohl berühmtesten musikalischen Märchen – Sergej Prokofjews Peter und der Wolf – und kreiert mit den Tänzer*innen der Jugendkompanie ein Ballett für die ganze Familie.
Das Werk Peter und der Wolf ist bei vielen Menschen fest im kulturellen Gedächtnis verankert. Was waren deine ersten Gedanken zur Kreation eines Balletts?
Martin Schläpfer: Wenn man junge Menschen musikalisch bilden möchte, gehört Peter und der Wolf zum Repertoire. Es ist eine großartige Komposition und Prokofjews Zeichnung der Charaktere ist brillant. Als die Frage an mich herangetragen wurde, ob ich etwas für das NEST und die Jugendkompanie kreieren würde, kam mir deshalb sofort diese Komposition in den Sinn. Das Werk hat Magie, es ist ein Märchen, trägt aber auch viel Realität in sich. Natürlich bringt der Text einige Fragestellungen mit: Was bedeutet der Generationenkonflikt von Peter und Großvater? Wie geht man mit der Darstellung der Tiere um?
Ich möchte nicht mit der Figurenzeichnung brechen, aber sie auch nicht zu sehr kosmetisch verkleiden. Ja, es sind Tierfiguren, aber es sind trotzdem noch Tänzer*innen. Mir war es wichtig, physisch in der Tanzsprache zu sein und jeder Figur eine eigene Gangart – muskulär und textuell – zu geben. Eine Herausforderung ist auch, dass die musikalischen und Text-Sequenzen sehr kurz sind. Viel Handlung passiert in knapper Zeit, was Charme hat. Es macht großen Spaß, an Peter und der Wolf zu arbeiten. Es ist ein Stück für Kinder, soll aber die Erwachsenen nicht ausschließen.
Wie bist du mit dem Text umgegangen?
Martin Schläpfer: Mich inspirieren Texte innerhalb einer musikalischen Vorlage immer. Für Peter und der Wolf waren sie zudem hilfreich. Auch die Figur des Erzählers und wie er den Text den Kindern vermittelt, ist dabei ganz wichtig.
Ich glaube, das junge Publikum wird genau hinhören, selbst, wenn es mit dem Auge vielleicht auf der Bühne bleibt. Ich choreographiere den Text, auch im Rhythmus, in dem er teilweise angelegt ist. Dann lasse ich ihn an anderer Stelle für sich stehen und er wird nur durch die Kraft des Sprechers getragen. Manchmal reagiere ich auf ein Wort, auf die Bedeutung des Wortes. Ich möchte den Text nicht durchchoreographieren, aber er ist durchaus Musik.
Wie legst du die Rolle des Sprechers an?
Martin Schläpfer: Ich habe schon darüber nachgedacht, den Sprecher zu inszenieren, im Raum zu bewegen, aber schlussendlich ist er für sich – sitzend oder stehend. Ich kann mir vorstellen, dass er auch einmal mit dem Ensemble interagiert, aber das wird sich erst in den Endproben entscheiden.
Mir gefiel der Gedanke, den Sprecher irgendwo verankert zu wissen, auch, weil der Platz auf der Bühne bereits limitiert ist und wir eine große Welt darstellen wollen: Teich, Wald, Wiese, Gartentor. Das sind alles wichtige Elemente im Stück. Ich finde es spannend zu untersuchen, wie die verschiedenen Ebenen zusammenfinden, ohne dass sie miteinander verwoben werden.
In deinem Ballett nimmst du keine Schwarz-Weiß-Zeichnung der Figuren vor. Wie bist du an die Gestaltung der Charaktere herangegangen?
Martin Schläpfer: Ich habe viel über die Figuren nachgedacht, weil der Text auch einige »Fallen« mit sich bringt. Will man den Wolf so böse darstellen und ihn am Ende in den Zoo bringen? Für mich ist es ist höchst seltsam, dass dem Wolf so viel Schreckliches nachgesagt wird. In unserer Inszenierung trägt er die schönsten Materialien, ist edel und respektabel. Er ist mehr ein verwunschenes Tier, hat eine Schönheit und Würde, aber auch Dunkelheit.
Peter als Gegenpol ist ein mutiger Junge, der selbstsicher ist und naturbezogen. So macht es auch Sinn, dass er im Dialog mit den Tieren steht. Die Katze ist in meiner Kreation Peters Haustier, und auch der Konflikt zwischen Vogel und Ente ist spannend. Es ist interessant, dass wir in einem Vogel eher etwas Apollinisches sehen und der Ente eine gewisse Hässlichkeit zuordnen. Ich versuche das zu vermeiden.
Den Großvater tanzt Senior Artist Yuko Kato. Ich wollte diese Rolle mit jemandem, der älter ist, besetzen, da ich die Figur nicht verkleiden, niemanden Junges alt schminken möchte. Die Jäger werden von einer Tänzerin und einem Tänzer dargestellt. In diesem Pas de deux trägt die Tänzerin Spitzenschuhe und macht sie zum »Gewehr«. Der Spitzenschuh kann neben der Erhöhung auch eine Waffe, etwas Hartes in all seiner Schönheit sein.
Bist du anders an die Kreation herangegangen mit dem Wissen, dass es sich um ein Stück für Kinder handelt?
Martin Schläpfer: Ich glaube nicht, dass man anders denken muss, weil es ein Kinderstück ist. Kinder sind hochintelligent und können auch etwas ertragen. Im Fall von Peter und der Wolf ist der Stoff in sich kindgerecht. Man muss nichts verniedlichen, es ist trotzdem noch ein Ballett von mir. Körperlichkeit, Athletik und Modernität im Bewegungsduktus treffen auf naivere, purere Momente, die für Kinder wirkungsvoll sind und direkt ins Herz gehen. Wenn z. B. die Katze vor dem Wolf wegrennt, dann sind das natürliche Bewegungen. Es ist nicht choreographiert, einer jagt, einer rennt weg.
Du kreierst zum zweiten Mal für die Jugendkompanie. Was bedeutet die Zusammenarbeit mit den jungen Tänzer*innen?
Martin Schläpfer: Es ist ein sehr schönes Erleben und großes Vergnügen. Die Tänzer*innen sind neugierig, reagieren direkt und intuitiv. Natürlich braucht es etwas mehr Zeit, weil eine Art von Pädagogik schon noch dahintersteht. Einem Solisten muss ich gewisse Dinge nicht sagen, aber jemand, der erst 18 Jahre alt ist und manches zum ersten Mal hört, braucht vielleicht einen anderen Zugang. Die Arbeit geht aber deshalb nicht weniger tief als mit erfahrenen Künstler*innen.